Dienstag, 22. August 2023

Edmund Schönenberger - Kämpfer gegen Behördenkriminalität

Er lebte in Serbien als Selbstversorger und kämpfte in der der Schweiz als Anwalt für die Freiheit. Ein Nachruf

Edmund Schönenberger, der das linke Zürcher Anwaltskollektiv mitbegründete, der zahllosen Zwangspsychiatrisierten beistand und schliesslich als Bauer in Serbien lebte, ist 81-jährig gestorben.
Grosse Worte waren sein Geschäft. Als die Standesaufsicht Edmund Schönenberger 1999 (nicht zum ersten Mal) das Anwaltspatent entziehen wollte, bestand er auf einer öffentlichen Verhandlung und begann sein Plädoyer vor vollen Reihen mit einem Zitat des Ketzers Giordano Bruno: «Mit grösserer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil, als ich es entgegennehme!»
Das war seine Flughöhe. Und so ging es weiter: Ihm drohe das Berufsverbot, weil er den «Hütern der herrschenden Ordnung die Maske vom Gesicht» reisse und sie als Lakaien einer Plutokratie entlarve. Schönenberger hatte zuvor in einer Rechtsschrift ein Verfahren als «reines Affentheater» bezeichnet und über den «ungeniessbaren juristischen Wurstsalat» gewütet. Dafür entzog ihm die Aufsichtskommission schliesslich für drei Monate das Anwaltspatent. Aber so polemisch sich Schönenberger ausdrückte, so stichhaltig waren oft seine Argumente: Das Bundesgericht hob die standesrechtlichen Sanktionen gegen ihn später auf.
Der Mann, der mit seinen «kompromisslosen, zum Teil holzschnittartigen Gesellschaftsanalysen» («WoZ») oft aneckte, wurde in seiner Karriere zum immer radikaleren Fürsprecher der Freiheit. Die Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, fand er einen Betrug, und ans Recht glaubte er als Rechtsanwalt nicht – nutzte es aber, um Menschen beizustehen, die gegen ihren Willen interniert waren: Gefangene, Beschuldigte, Psychiatrisierte. Das tat er per Computer auch nach der Auswanderung nach Serbien, wo er in einem Bauerndorf als Selbstversorger lebte («Freistaat Edmund»). Seine Eingaben unterzeichnete er bis am Schluss mit «Mein eigener Souverän». Auf seinem Grabstein, so sagte er im Dokumentarfilm «Edmund in Knezevac», solle einst stehen: «frei denken / frei reden / frei handeln».
Geboren wird Edmund Schönenberger 1942 in einem Zuger Bauerndorf. Die Eltern sind beide Lehrer, er wächst mit sieben Geschwistern in der Wohnung über dem Schulhaus auf. Nach der erbittert geführten Scheidung der Eltern kommt er in ein katholisches Internat. Als Bub ist er in den Ferien oft auch bei Bauern untergebracht, wo er das Reiten lieben lernt. In Zürich studierte er als Werkstudent Jus. Danach arbeitet er als Taxifahrer, unternimmt ausgedehnte Reisen und ist kurz auch Entwicklungshelfer in Afrika. Dann folgen Praktika und Anwaltsprüfung. Als er von der Idee eines linken Anwaltskollektivs hört, ist er 1975 mit Anwalt Bernard Rambert, der späteren SP-Bundesrichterin Susanne Leuzinger-Naef und der Sekretärin Claudia Bislin ein Gründungsmitglied.
Das Kollektiv hat einen Einheitslohn, bietet für 30 Franken Rechtsberatungen ohne Anmeldung an und vertritt in Zivilsachen nur wirtschaftlich Schwächere gegen Stärkere. Schönenberger führt kaum Zivilverfahren, auf Scheidungen verzichtet er ganz. Er spezialisiert sich auf Straffälle und ist auch bei der aufsehenerregenden Verteidigung von RAF-Terroristen dabei. Früh entdeckt er den Hebel, den die von der Schweiz ratifizierte Menschenrechtskonvention bietet, um das Schweizer Recht zu modernisieren. Das Strassburger Urteil, das zur Einführung eines unabhängigen Haftrichters in der Schweiz führt, ist auch sein Verdienst. Seine Haupttätigkeit wird bald der Einsatz für zwangsweise eingewiesene Psychiatriepatienten, die damals praktisch ohne Rechtsmittel sind. Er gründet den Verein Psychex (heute: Psychexodus), sein Ton wird dabei stets schärfer. So sagt er etwa, die «globale Zwangspsychiatrie der letzten 140 Jahre» stelle die Inquisition oder den Holocaust in den Schatten. Zum Protest, auch von Freunden, sagt er nur: «Mir ist klar, ich kann nicht nachvollzogen werden.»
Der atemlose Kampf kostet Energie. Schönenberger zieht sich zuweilen auf die kroatische Insel Hvar zurück oder segelt auf dem Mittelmeer. Einem Kollegen erklärt er einmal, wie man sich maximale Unabhängigkeit bewahre: «Halte die Fixkosten möglichst tief!» Er tut das, als er 1994 als Bauer in ein serbisches Dörfchen an der ungarischen Grenze auswandert.
Seine Frau, die er in den siebziger Jahren im Zürcher Café «Select» kennengelernt hat und mit der er ein Leben lang zusammen ist, stammt aus dem damaligen Jugoslawien. Sie hat schon eine Tochter, gemeinsam hat das Paar zwei weitere Töchter. Auf ihrem Hof in Knezevac baut die Familie Kartoffeln an, Gemüse und Obstbäume. Mit dem Pferd, das auch den Pflug zieht, reitet Schönenberger sattellos über die Felder. Ab und zu bringt ein Nachbar einen Hasen für den Kochtopf vorbei. Naturvölker wendeten täglich zwei Stunden für ihre Existenzsicherung auf, sagt er und eifert dem nach: «Acht Stunden Schlaf, zwei Stunden für die Organisation von Speis, Trank und Holz zum Kochen und Heizen.» In den übrigen 14 Stunden organisiere er «mit neuen Kommunikationsmitteln die Befreiung psychiatrisch Versenkter» in der Schweiz. Zur Entspannung spielt er auf seinem E-Piano in der Küche Beethoven.
Viel Staat braucht es in Knezevac nicht. Für die Strassen schauen die Bauern selbst. Der überschuldeten Wasserversorgung aber hat sich Schönenberger angenommen und sie finanziell saniert. Im Film sieht man, wie der Anwalt aus der Schweiz bei den Bauern die Wasserzähler abliest, den Verbrauch ausrechnet und das Geld gleich bar einzieht: pro Kubikmeter fünf Dinar.

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